Krummhörner, Schwerter und RüstungenDie 1. Nationale Sonderausstellung zum Reformationsjubiläum "Luther und die Fürsten" in Torgau Was haben zwei Krummhörner mit dem brisanten Geschehen der Reformation zu tun? Das kann man sich fragen, wenn man sie im Ausstellungsraum zu "Bayern" in der Vitrine sieht. In der Tat ist ein Merkmal dieser Ausstellung, dass ihre Exponate nicht immer einen offensichtlichen und erläuternden Bezug zur Reformation herstellen. Sie stehen hier dafür, dass der protestantische Kurfürst von Sachsen den katholischen Herzog von Bayern bat, ihm für seine Hofkapelle ein paar Krummhörner aus der angesehen Werkstatt in Memmingen zukommen zu lassen. Heißt: Obwohl der Herzog streng katholische war und eine Gegenreformation vorantrieb, bedeutete das nicht, dass es einen Primat der Religion gab, sondern die unkomplizierte persönliche Freundschaft der beiden ging vor. Und das ist einer der bewegenden Eindrücke, den diese Ausstellung vermittelt: Uns Heutigen schien es bislang, dass in dieser hitzigen Zeit die Religion den Primat hatte, hier lernt man, dass ihn die Politik hatte. Bislang wurden zu viele Biografien Luthers von Theologen verfasst. Verbindet man hingegen die Elemente, die einem in acht Räumen in Schloss Torgau, in der ehemaligen Kanzlei und in der ehemaligen Superintendentur gezeigt werden, so wird klar, dass man die Geschichte der Reformationszeit neu gewichten muss. Die Ausstellung ist richtig nach Torgau gelegt worden. Dass Schloss Hartenfels die Hauptresidenz der sächsischen Kurfürsten war, ist rasch erklärt. Dabei war sie das zu einer Zeit, als in den deutschen Staaten ein fester Residenzort noch gar nicht üblich war. Das Schloss selbst ist vielmehr bereits ein Teil des Themas dieser Ausstellung. Denn es ist auch ein Bekenntnisbau: Die erste als evangelische geweihte Kirche (1544 durch Luther selbst) bildet die Schlosskapelle. Die Fürstengemächer liegen der Kapelle benachbart. Die Säulen im wichtigsten Portal sind mit den Köpfen Luthers und Melanchthons verziert. Dadurch zeigten die Fürsten: Die Reformation ist bei uns Programm, über eine Reform der katholischen Kirche sind wir hinweg. Diese Modernität findet ihren architektonischen Ausdruck ferner in dem mühsam eingequetschten italienischen Erker, in herausragender Technik und Ausstrahlung aber im Wendelstein. Diese Wendeltreppe ragt in ihrer Feinheit so aus den Treppen dieser Art aus derselben Zeit heraus, dass die Historiker rätseln, wo sie ein Vorbild suchen sollen – Blois und andere französische kommen nicht in Frage, weil sie anders angelegt sind. Diese Modernität harmoniert mit der geistlichen und politischen Modernität. Im Inneren der Ausstellung offenbart sich hingegen der zur gleichen Zeit wirksame Trend der Retrospektive. Der Versuch der Fürsten, ihre Stellung zu begründen und zu legitimieren griff nach Modellen der Antike und des frühen Rittertums: Kaiser Karl zeigte sich gerne als römischer Held mit Herkules im Gefolge oder als Herkules selbst. Es gab ständig Anlass, hochverzierte Schwerter als Zeichen der Kurwürde zu verleihen oder bei Inthronisation eines neuen Kaisers zu erneuern. Die Rüstungen waren so vollständig wie untauglich für die tatsächliche damalige Bewaffnung – so etwa diente die zugespitzte Brünne dem Schwerterzweikampf Mann gegen Mann, aber den gab es so gar nicht mehr. Die Tragik dieses musealen Zierrats schon damals findet sich auch in der Ausstellung: ein paar Vitrinen weiter sind Pistolen ausgestellt, und wieder ein paar Vitrinen weiter finden sich die Patrone und die Rüstungssplitter, durch die Moritz von Sachsen in der Schlacht von Sievershausen ums Leben kam. Die einzig sichere Achse des Geschehens im 16. Jahrhundert war Karls V. unbotmäßiger Anspruch, Europa politisch und religiös zentralistisch zu beherrschen. Denn das schweißte die Kurfürsten gegen ihn zusammen, unabhängig davon, welcher Glaubensrichtung sie angehörten. Ihnen war das so wichtig, dass sie einen von Tacitus geprägten Ausdruck der "Libertas Germaniae" für sich anführten und sich gegen die "spanische Sklaverei" aussprachen. Diese politische Dauerkonstellation wird auch durch den Vergleich mit den Niederlanden (samt dem heutigen Belgien) deutlich: Hier waren es zuerst die Fürsten wie Wilhelm von Nassau-Oranien, Grafen wie Egmont und Hoorn, die sich gegen die immer schlimmer werdende Gängelei durch Spanien (Philipp II) wehren wollten. Doch der war tödlich beleidigt. Erst nach dieser Reaktion der niederländischen Adligen weitete sich der Konflikt auch auf die religiöse Ebene aus. Der hartnäckige Versuch der Adeligen, ihre Unabhängigkeit zu wahren, führte zu abenteuerlichen Allianzenbildungen. Das muss ein ständiges Karussel gewesen sein wie unter Hunden, von denen jeder der erste sein möchte, der beim anderen hinten geschnuppert hat: Das katholische Frankreich nimmt Kontakt zu den protestantischen Fürstentümern auf, um sich gegen die habsburgische Zange an allen Grenzen zu wehren; der Kaiser paktierte mit den Türken gegen den Papst, der Papst (!) paktierte mit den Türken gegen den Kaiser, und wenn der Kaiser Hilfe gegen die Türken suchte, weil sie seinem Bruder im heimatlichen Wien zu nahe auf die Pelle gerückt waren, so musste er schön lieb sein gegenüber den deutschen Kurfürsten, damit sie ihm Truppen schickten. Daher kein Wunder, dass auf einem Kupferstich mit den besiegten Feinden des Herkules Karl V. die protestantischen Kurfürsten zu seiner Linken stehen, und rechts der Papst, und das auch noch gleich neben dem Türken! Was also habt ihr wirklich gewollt? Doch in ihrem geduldigen Reichstags-Hin-und-Her siegten die deutschen Fürsten: Die Confessio Augustana enthielt die Gleichberechtigung der beiden Glaubensrichtungen und sicherte damit die friedliche Koexistenz. Bis dann 1618 einer meinte, sie kippen zu können. Heinrich IV von Frankreich erreichte mit dem Friedensedikt von Nantes 1598 das Maximum des in Frankreich Möglichen – es enthielt aber keine wirkliche Gleichberechtigung. Wenn jemand in Deutschland das "Cuius regio, eius religio" partout nicht annehmen konnte, so durfte er außer Landes ziehen. Das durften die Hugenotten nach dem Widerruf des Edikts von Nantes nicht. Flucht war verboten, wiewohl sie vielen gelang, wie man in Preußen und Holland weiß. Neben den Gegenständen fehlt es auch nicht an den entscheidenden Schriften: Luthers 95 Thesen, der nicht sich verzehrende Dornbusch, der das Feuer der Reformation unterhielt, die Confessio Augustana mit einigen ihrer Torgauer Entwicklungsschritten, Luthers reformatorische Schriften, sein Sendbrief vom Dolmetschen, Calvins "Institutio", eines der meistgedruckten und meistübersetzten Werke des 16. Jahrhunderts. Dann auch die diversen Katechismen, lutherisch und reformiert. Sie sind so wichtig, weil sie das pädagogische Engagement der Fürsten belegen. In der Kanzlei werden die Hintergrundthemen der Reformation behandelt. So etwa Luthers Übersetzungsleistung, das Vorbild, mit dem sowohl er als auch Erasmus sich legitimierten, nämlich der Heilige Hieronymus, dazu aber auch das Kanzleiwesen, das seine Sprachwahl ja auch beeinflusste. Die Reformation selbst wies den Fürsten neue Aufgaben zu wie etwa die Schulpflege, und dazu war mehr Verwaltung nötig. Nur Georg Spalatin, die Lichtgestalt der Reformation und der treue "Gubernator" (Lenker) der Reformation, so die Ausstellung in Altenburg, kommt zu wenig vor. Sein schönes Porträt ist jedoch vorhanden. In Kürze wird auch das ihm gegebene Priesterhaus wieder restauriert sein, ganz in der Nähe zum Katharina-Luther-Haus. Man sieht: Torgau darf als Reformationsstadt wiederentdeckt werden. A. Martin Steffe, Hamburg |