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Die gefährlichsten Menschen und die Macht der Redlichkeit.

Die Romane Hermann Götz

Rezension: Hermann Götz, Die Prophezeiung./Die Torheit der Gottlosen./Die Chance. Bad Homburg (Courage) 1998.

Wann gab es im deutschsprachigen Raume zuletzt ein schriftstellerisches Werk, das berufliche Erfahrungen erster Hand verarbeitet? Es wird immer schwieriger, die berufliche Lebenswirklichkeit aus nächster Nähe in literarischer Form zu verarbeiten. Thomas Mann oder Gustav Freytag hatten noch Einblick in die Probleme des Kaufmanns und Heinrich Böll in die Bestechlichkeit bei Bauaufträgen. Max Eyth überschaute die Wirkung der Technik seiner Zeit. Bis heute bemühen sich Schriftsteller mit ihren Mitteln der Recherche und der Fiktion um ein Wort, mit dem sie sich an der Verarbeitung aktueller Lebenswirklichkeit beteiligen. Dabei leisten sie Glänzendes. Max von der Grün oder Martin Walser lieferten gute Beispiele für das Bemühen, die heutige Alltagswelt zu durchdringen und zu spiegeln. Aber wer kann schon einem Erbauer von Fernsehtürmen oder Messehochhäusern über die Schulter schauen? Wer ist in der Nische der Gesellschaft, in der junge Leasons Milliarden bewegen, so wie ihre Altersgenossen ein Backblech mit Brötchen in den Ofen schieben? Wer kennt die Atmosphäre unter Leuten, die immer fehlerlos arbeiten müssen - Piloten - und von attraktiven jungen Leuten umgeben sind? Was geschieht eigentlich mit Menschen, die ausschließlich mit Computern arbeiten? Die ihn einerseits erst genau konzipieren, dann wieder Überraschungen von ihm erwarten? Es ist ein gradueller Unterschied im Hinblick auf die Fiktion, ob ein Schriftsteller sich der beruflichen Alltagswelt und ihrer Auswirkung auf den Menschen nähert oder selber ein Betroffener ist.

Hermann Götz füllt mit seinen drei Büchern "Die Prophezeiung", "Die Chance" und "Die Torheit der Gottlosen" eine Lücke. Seine Erzählungen geben die wirkliche und persönliche Nähe des Autors zu den dramatischen Verwicklungen in den Büchern stets zu erkennen. Hermann Götz stammt aus einer oberhessischen Bauernfamilie. Die Atmosphäre in seiner Familie wurde von Mutter und Großmutter geprägt. Die beiden Frauen zeichneten sich durch außerordentliche Tatkraft, klaren Menschenverstand und sichere Menschenkenntnis aus, die in jeder Lebenslage erhalten blieben. So entschieden und sicher sie den Hof bewirtschafteten, so großzügig ließen sie dennoch jeder Person im Hause die persönliche Freiheit. Nie versuchten sie, auch über Menschen zu herrschen. Auf die ersten beiden wichtigen Frauen in seinem Leben führt Götz zurück, daß auch auf ihn die Gabe zu großer Belastbarkeit bei gleichzeitigem Vermögen, Menschen sicher zu interpretieren, überging. Den Krieg erlebte der junge Mann als Flakhelfer. Der begabte Schüler erlernte zuerst die Landwirtschaft. Nebenberuflich erwarb er die Diplome als Bauingenieur und Kaufmann. Seine Leistungen und seine persönliche Geradlinigkeit und Sicherheit führten dazu, daß ihm stets hervorragende Stellen angeboten wurden. Meistens galt es dabei aber auch, menschliche Krisen innerhalb der Belegschaften zu bewältigen. Er selbst wurde aufgrund seiner menschlichen Korrektheit in beglückender Weise von Kennern des Fachs gefördert. Seine beruflichen Stationen führten ihn zu Baustellen in den Stuttgarter Raum, zu Staudämmen in Kanada, Hotels auf Mauritius oder Appartment-Blocks in Überlingen. Zwei Partnerinnen waren die weiteren zwei der insgesamt vier prägenden Frauenpersönlichkeiten für Götz, denen seine Bücher in Dankbarkeit gewidmet sind.

Götz schreibt in einem faktischen, straffen Stil, der rasch zum Kern kommt. In den Dialogen wird in besonderem Maße fühlbar, welche Gauner oder menschlichen Schätze er auf internationalem Parkett selbst erlebte. Der Leser ist dabei, wenn zwei Händler eine nicht ausgelieferte chemische Fabrik, die in Spanien zwischenlagert, gewinnbringend an den eigentlichen Besteller bringen wollen, aber vom spanischen Reeder hereingelegt werden. Der Leser erfährt, wie ein gewiefter Osthandelsexperte einen Erpresser abschüttelt und mithilfe seiner Beziehungen zur Russenmafia umbringen lassen kann. Nach der Lektüre von Götz "Torheit" weiß jeder Leser ein für alle Mal, wieso die Insassen eines deutschen Gefängnisses als Menschen endgültig verdorben werden, und wie die Insassen es denn tatsächlich schaffen, außen aktiv zu werden.

In der "Torheit" beschreibt Götz das Leben eines Meisters in einem Automobilwerk, der die ihm unterstellten Frauen mißbrauchte. Eine von ihnen offenbart alles der Frau des Meisters. Im Versuch, die Verräterin von seiner Frau zu erpressen, erschießt er sie und kommt ins Gefängnis. Hier kommt er in Berührung mit dem Wirken eines Diplomphysikers und eines Kaufmanns, die russische Hubschrauber in den Irak oder eine Giftgasfabrik nach Lybien vermitteln. Steinreich jetten sie zwischen Cadiz und Moskau hin und her und schmieden in Hotelsuiten kühne Pläne. Zu Hause unterhalten sie geduldige Frauen und unterwegs pflegen sie Kontakte zu jeder gewünschten Schönen. Götz zeigt auf, daß die menschliche Unverbindlichkeit, die sich so äußert, der Grund auch des letztlichen Scheiterns solcher Leute ist. Die Geschäftspartnerin der beiden erliegt noch vor einer Krebsoperation dem anaphylaktischen Schock durch ein Antiallergikum. Die Geschäftspartner stürzen mit einem Flugzeug ab, als sie im Gebiet nördlich von Afghanistan Geschäfte machen wollten. Da ihr Tod nicht offiziell beglaubigt wird, erhalten die Witwen nicht einmal das viele Geld, das sie ihnen zudachten. Es ist eine der Stärken Götz', die jüngste Zeitgeschichte mit der gewählten Handlung zu verknüpfen und bedrückende Zusammenhänge aufzuzeigen.

"Die Chance" ist eine Studie des Gefängnislebens. Hier begegnen einander ein sehr schwermütiger Mann und ein noch reger Astrophysiker. Aus seinen Erzählungen ent-steht im Buch eine Binnenhandlung, in der das Chile der Diktatur Pinochet und die Machenschaften einer US-amerikanischen Sekte porträtiert werden. Aus dem Wieder-sehen der beiden Männer nach der Entlassung aus dem Gefängnis entwickelt Götz eine doppelte Utopie. Mithilfe einer großen Raumstation soll der Mond von einer internatio-nalen Gruppe dauernd besiedelt werden - inzwischen ist es gar nicht mehr so utopisch. Dort melden sich nach einiger Zeit Außerirdische. Sie hielten sich bis dahin zurück, weil ihnen die Menschen auf der Erde zu unzuverlässig in ihrer Bosheit erschienen. Der Gruppe auf dem Mond geben sie die Chance, in die friedliche Welt der Außerirdischen zu kommen. In der "Prophezeiung" entwickelt Götz die ihm wichtigen Themen anhand seiner Autobiografie.

Die von Mutter und Großmutter ererbte sicher Einschätzung menschlicher Stärken ebenso wie menschlichen Versagens führt in Götz drei Erzählungen zu einem seiner Themen. Immer wieder wird an neuen Begegnungen und Abschnitten aufgezeigt, wie sich die Zuverlässigkeit von Menschen einerseits gegenüber ihrer Brutalität, Geldgier und ihrem Trug bemerkbar machen. Es ist ein Spiel kleiner Anzeichen, die dann doch Gewicht bekommen. Es ist aber auch die Einsicht in eine geprägte Struktur der Menschen: Die einen reagieren auf Anforderungen immer mit ehrlicher Leistung und ehrlicher Auseinandersetzung. Die anderen - oft die Leute des großen Erfolges - sind im gleichen Sinne darauf fixiert, mit schönem Schein und Verbindungen ihren Übererfolg zu erzielen. Auch dann, wenn die Situation es gar nicht verlangt, und sie durchaus redlich das Nötige erreichen könnten. Der Betrug ist keine Reaktion auf einen Notfall oder eine starke Versuchung. Der Betrug ist ihre Persönlichkeitsstruktur. Der Betrug steckt in ihnen wie eine Sucht. Sie sind darauf fixiert, jede Situation mithilfe von Betrug für sich überzunutzen. Umso mehr, da ihre Fixierung auf die negative Fähigkeit des Betrügens mit der Fähigkeit gepaart ist, stets dazu die passenden Bedürftigen und Gewissenlosen zu finden. Beispiel Höfer: Als Schneidermeister wird er in der Gefängnisschneiderei beschäftigt. Dafür wäre ein normaler Mensch dankbar und würde sich korrekt verhalten. Höfer sieht sofort, daß das Gefängnispersonal sich von den ausgewählten Gefangenen Nützliches und Schönes für privat anfertigen lassen will, und hat sofort Strategien drauf, wie er sich dafür einmal eine Wurst oder eine Schokolade mehr einhandeln kann und wie er diese Bereitschaft ungefährlich für sich selbst bemerkbar machen kann. Man kann nur dankbar sein, wie Götz es schafft, unter anderem auch einmal in dieser gesellschaftlichen Kategorie des Gefängnisses und unter der Bedingung der Gefangenschaft darzulegen, daß die Vorgehensweise der Gauner und Verbrecher ebenso wie die der Redlichen eine Sache der Konditionierung und Prägung ist, aus der sie nicht durch Einsicht ohne weiteres aussteigen können. Götz schafft das umso eindrücklicher, als er ohne jeglichen moralischen Druck zunächst einmal erkennen läßt, das der Erfolg die Gauner erzieht. Und gegen Erfolg ist schwer anzugehen.

Dankbarkeit ist darum ein angemessenes Empfinden nach der Lektüre von Götz' Erzählungen, als die Fälle der Gefangenschaft zum Modell für die Situationen werden, die nicht so leicht überschaubar sind wie ein Austausch von Maßhemden und Extrawurst wie im Gefängnis, aber die Gesellschaft gefährden. Man fühlt sich wie der Reiter über dem Bodensee, wenn man bei Götz liest, welch egoistische Geld- oder Machttriebe Staatsanwälte und Richter umtreiben, und wie haarsträubend die meisten Verfahren geführt werden, wenn sie meinen, sich auf eine bestimmte Weise zum Oberstaatsanwalt oder Oberrichter machen zu können. Einem normalen Menschen erscheint der Konkurs eines Unternehmens als etwas Furchtbares. Er kann sich nicht vorstellen, wie Banken oder persönliche Finanziers den Konkurs herbeizuführen suchen, weil sie ihre Investition bei Lloyd's versicherten und auf einen Schlag 3,5 Millionen Mark bekommen könnten. Nichts ist so gefährlich wie Menschen, die sich dem großen Geld nahe fühlen und sich dann von anderen Menschen gestört fühlen - auch wenn die in ihrer Ehrlichkeit es nicht einmal bewußt tun. Und in der aufstrebenden Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland gab und gibt es viele, die sehen, wie andere Geld erwirtschaften, und die davon so zermürbt werden, daß sie es auch für sich erzwingen wollen. Auch die Schranzen eben der, die das Geld erwirtschaften, tun das nach einiger Zeit.

Götz' Erzählungen machen Mut. Die Guten sind nicht nur aus Schlichtheit gut oder weil sie sich nicht auf riskante Geschäfte verstehen. Es gibt immer noch Menschen, die sich zur Ehrlichkeit entscheiden und das Übergeschäft ablehnen, auch wenn es in versuchliche Nähe kommt. Sie machen den Mut, daß der redliche Mensch sich nicht als Opfer betrachten muß. Auch Redlichkeit ist vielmehr ein Macht. Die Macht braucht immer das Versteck, das Hinterhältige, den Schein. Sie bricht an der Öffentlichkeit, und Öffentlichkeit ist immer da möglich, wo jemand ehrlich lebt und ehrlich arbeitet. Die Mächtigen und die Großgeschäftemacher mögen die Ehrlichen belächeln. Sie gestehen sich aber nicht ein, daß sie bei aller Fixierung auf das Ausweiden einer Situation für sie selbst nur eines im Sinn haben: Sich ein schönes Leben zu machen. Aber das ist zum Scheitern verurteilt. Denn je fester und sicherer sie das Paket ihrer Mafia, Bestechungen, Erkenntnis der Machtwünsche und Vorteile anderer schnüren, desto mehr pressen sie die Menschlichkeit und das schöne Leben heraus. Es geht nicht: Glück ist nicht auf dem Pech anderer zu schmieden. Das merken die Mächtigen nicht. Aber daran werden sie zwingend scheitern.

Die Aussagen der Erzählungen Hermann Götz mögen nicht in jeder Hinsicht neu sein. Aber wir erfahren auf neue Weise, daß sich Verbrechen nicht lohnen. Das sagt uns jetzt jemand aus ganz eigenen und neuen Blickwinkeln. Das sagt jemand, der ständig mit diesen Mächtigen, denen, die zitternd vor dem großen Geld standen, denen, die vor Mordaufträgen nicht zurückschreckten, umgehen mußte - und es integer überlebte. Die Klarheit der Darstellung in Götz' Erzählungen macht es besonders wünschenswert, daß sie bald Verbreitung finden. Hilfreich können sie auch bis dorthin reichen, wo in Deutschland gewöhnlich nicht mehr gelesen wird. Götz' Erzählungen füllen die Lücke moderner Literatur, die verlorene Leserschaft wieder zurückgewinnen könnte.

 
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