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Bretonisch rückt weiter gen Osten vor
Deutsche Geschichtsbücher haben die Neigung, das Aufkommen der Nationalstaaten zu preisen und die deutsche Kleinstaaterei als rückständig hinzustellen. Aber die Nationalstaaten bildeten sich um den Preis eines Zentralismus, und das war kulturell stets ein Nachteil. In Frankreich galt der Gebrauch des Provençalischen oder Bretonischen stets als Infragestellung der Zentralmacht. Das Sprechen eines Dialekts wird in Ländern wie England oder Frankreich stets auch mit einem provinziellen Lebenstil (oder Schlimmerem) verbunden. Das hat sich glücklicherweise geändert. Das Zusammenwachsen der Staaten Europas trug dazu bei, dass eine Randsprache wie das Bretonische es heute leichter hat. Die Schweiz lebte es mit ihrer Viersprachigkeit schon immer vor. In Finnland gibt es auch Schwedisch, in Schweden Lappländisch, in Flensburg Dänisch, in Ostbelgien auch Deutsch, in Deutschland Sorbisch, und nirgendwo ist die Existenz einer zweiten Sprache ein Problem. Das Bretonische gehört zur Gruppe der keltischen Sprachen, die wiederum zur indogermanischen Familie gehören. Seine nächsten Geschwister sind das Irische, Walisische und Schottische. Auch in Cornwall gab es vor gar nicht langer Zeit eine cornische Variante des Keltischen. Die Ähnlichkeit britisch-bretonisch ergibt sich daraus, dass das Bretonische von Bewohnern der britischen Insel herübergebracht wurde, die dort vor den Angelsachsen flohen. Bislang galt eine Linie von etwa St.Brieuc an der Nordküste bis etwa Vannes an der Südküste als Grenze für den Raum, in dem Bretonisch noch als Alltagssprache vorkommt. Der Bretonischunterricht findet jedoch inzwischen Anklang von dieser Linie aus gesehen weiter nach Osten. In Trégueux, einem kleinen Ort östlich von St.Brieuc, gibt es ständig Angebote von Bretonischunterricht an allgemeinbildenden Schulen vom frühen Schulalter an. Je nach Möglichkeiten der Schule werden Intensivkurse von drei Monaten Dauer bis zu ständigem Unterricht über drei bis vier Jahre angeboten. Bis auf die Wahl der bretonischen Literatur ist der Unterricht selbst - wie kann es in einem Zentralismus-gewohnten Land anders sein - von der entsprechenden nationalen Behörde geregelt. Schulen mit Bretonischunterricht sind mühelos zu finden. Ihr Netz ist jedoch noch etwas großmaschig. Wachstum an Teilnehmern, Unterrichtsstunden, Angeboten Seit den letzten etwa zehn Jahren ist ein stetes Wachstum an Bretonischinteressenten von etwa 15 Prozent pro Jahr festzustellen. Lediglich auf offizieller Seite hält das Wachstum der Anerkennung des Faches, der Lehrkräfte und -stellen mit dieser Entwicklung nicht ganz Schritt. Laut letzten Umfragen stehen 76 Prozent der Bevölkerung hinter dem Bretonischen. Seine systematische Unterdrückung - vielleicht meistens diskret, aber dennoch immer häßlich - hat daher glücklicherweise ein Ende. Bretonisch als Fach nimmt durchschnittlich 3 Stunden pro Woche ein. Je nach Lage der Schule werden auch andere Fächer auf Bretonisch unterrichtet. So ist auch der Englischunterricht an den Grundschulen mancher Bundesländer konzipiert. An Grundschulen lernen derzeit 2.500 Kinder das Bretonische. Große Schwierigkeiten bereitet das Bretonische nicht, zumal es ja eine indogermanische Sprache ist - anders als etwa das Finnische oder Ungarische. Französischsprachige sind am meisten von der variablen Stellung der Wörter im Satz überrascht und haben am ehesten Mühe mit dem Vokabellernen. Denn diese sind nicht so leicht zu verknüpfen wie viele Wörter, die es in den romanischen Sprachen ebenso wie im Englischen gibt, z.B. hour, fragile, equestrial u.v.m.. Etwa zwei Drittel der Schüler und Schülerinnen bringen noch keine Bretonischkenntnisse von zu Hause mit. In den unteren Klassen treffen die Eltern die Entscheidung. Doch bei Eintritt ins Gymnasium wird es zur persönlichen Wahl, und nicht weniger als 90 Prozent der Schülerinnen und Schüler entscheiden sich für eine Fortsetzung ihres Unterrichts. Die größte Schwierigkeit der fleißigen Schüler ist, dass sich das Gelernte nicht so leicht überall anwenden läßt. Auch in der Bretagne dominiert ja das Französische. Ist das Angebot auch verbreitet, so wird das Bretonische doch nur als Wahlfach angeboten, egal ob in Mittel- oder Oberstufen, privaten oder staatlichen Schulen. Das Bretonische kann aber auch als zweite lebende Sprache bis zum Abitur geführt werden. An einigen Schulen ist es Pflichtfach, und auch das kommt östlich der bekannten Sprachgrenze vor, zum Beispiel in Dinan. Am größten ist das Interesse unter Mittelschichtfamilien. Die Medien sind nach wie vor überwiegend zentralistisch geprägt und orientiert. Es gibt nur drei größere Zeitungen, die ganz auf Bretonisch geschrieben sind. Sie haben jedoch auch nur innerbretonische Bedeutung: Das Monatsmagazin Breman, das Literaturmagazin Al Lanv und das Sprachmagazin Hor yezh. Wird das Bretonische nicht noch zu Hause gesprochen, dann bieten sich Gelegenheiten dazu am ehesten beim Sprechen untereinander und auf Festen und großen Treffs. Die gibt es dafür reichlich, nicht nur bei den großen interkeltischen Treffs wie alljährlich in Concarneau. Doch insgesamt ist das natürlich zu selten. Prominente im Dienst der Nischensprache Gestützt wird das Prestige des Bretonischunterrichts durch Persönlichkeiten mit nationaler Popularität. Allen voran vom Harfisten Alain Stivell, dann auch von Dan Ar Braz, Denez Prigent, Yann-Fanch Quemener, Jean Rouaud, Erik Marchand, Nana Jaouen, Goulchan Kervella, Naig Roznor und bis zu ihrem Tode auch P.J. Helias und Anjela Duval. O, ihr unverständigen Galater, wer hat euch bezaubert, rätselte ungeduldig der Apostel Paulus. Die Galater waren ein nach Kleinasien ausgewanderter Keltenstamm. Auch die Nationalregierungen von Paris oder London mochten so gestöhnt haben. Sie sollten den Worten des Apostels aber weiter folgen, wenn er die Galater aufmuntert: So steht nun fest und laßt euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen. Das ist auch der Bretagne und ihrer Sprache zu wünschen. A. Martin Steffe |