Head Grafik
Nach oben springen
  Reisen & Kultur
Alle Themen
 

"Ich liebe nur Dich!" ist eine irrige Vorstellung




Nachhilfe für toleranzschwache Völker und Gruppen

"Ich bin durchaus nicht Ihrer Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie Ihre Meinung äußern dürfen", soll Voltaire gesagt haben. Dieser Satz und diese Lebenshaltung wirken wie eine Zier. Doch es ist mehr. Es ist unsere Lebensgrundlage. Ein bisschen von Voltaires Toleranz steckt glücklicherweise in den meisten westlichen Demokratien. Und "Toleranz" ist es: das lateinische "tolerare" hat etwas mit "tragen" zu tun. Tatsächlich fordert unser Leben auf dieser brennenden und überfluteten und radioaktiv verseuchten Erde in vielen, vielen Fällen, dass man etwas nicht endgültig lösen kann, sondern einen Unterschied einfach bestehen lassen und ertragen muss. Da waren die Römer schon weise mit dem Wort.

So etwa ist es mit der Homosexualität: Wir müssen sie ja nicht gut finden. Aber deswegen können doch Homosexuelle ihre vollen Grundrechte bekommen, wo ist das Problem? Ja, da ist es: Genau davor haben die meisten Menschen Angst – sie meinen, wenn man ein Zugeständnis an andere macht, das ihren persönlichen Überzeugungen und Haltungen nicht entspricht, dass dann die Welt zusammenbricht, und noch mehr: dass sie selbst sich unglaubwürdig, ja, sogar lächerlich machen, wenn sie etwas Ihnen Widersprechendes dulden. Davor haben sie Angst. "Ja, dann kann ja jeder machen, was er/sie will", oder ähnliche kluge Ahndungen werden dann vorgebracht. Glaubt etwa im Ernst einer, Homosexualität sei ansteckend, wenn man sie zuließe? Oder dass sie gewählt würde so wie zwischen einer used-look Jeans, die über die Absätze zerfranst herunterfällt und einer schlabberigen, taschenprangenden Cargo-Hose? Glaubt denn im Ernst jemand, wenn ein schwuler Fußballspieler mit der Mannschaft duscht, dass den anderen der Penis abfällt?

zurück

Jeder Mensch hegt zwei Gründe

Denn der Mensch hat immer zwei Gründe für sein Verhalten: Einen, der sich gut verkaufen lässt, und einen wirklichen Beweggrund. Als ich früher zu einem potentiellen Versicherungskunden kam, hatte der natürlich den obligaten Verwandten bei der Bank, den er fragen würde. Dann probierte ich unser Lehrbuch aus und fragte: "Oder noch aus einem anderen Grund?" Und siehe da: "Ich habe zur Zeit keine Arbeit." (Woraufhin wir laut Anweisung das Gespräch freundlich schließen und ja nicht weiter verhandeln sollten.)

So auch Staaten: Da hängen sie in der UNO herum und säuseln Frieden – aber in Indien werden Frauen so unerträglich schlecht behandelt, als seien sie Feinde aus einem anderen Lande. Wie kommt so ein Land in die UNO? Wie kann es sich da weiterhin ungestraft halten? Was soll der Killefit der gelangweilten UNO-Rentner mit ihrem albernen Welterbe-Etikett, so lange manche Bevölkerungsteile wie ein Möbelstück behandelt werden? Die Männer eines Landes, die Frauen so schlecht behandeln, sind selbst die Menschenunwürdigen und sollten beigebracht bekommen, dass sie sich zutiefst schämen. Dazu können Sie übrigens beitragen, dass das einmal gelernt wird: nicht nach Indien reisen! Es müsste doch insbesondere Frauen eine Selbstverständlichkeit sein, das Land jetzt zu boykottieren.

zurück

Keine selektive Intoleranz

Umso mehr, als Touristen bisher gewohnt waren, eines der merkwürdigsten Denkmäler der Welt zu besuchen: Tadj Mahal. Alle sind gerührt, dass ein Prinz seiner verstorbenen Geliebten ein solches Denkmal setzen ließ. Andererseits ließ er dem Baumeister die Hände abhacken, damit der nicht mehr so etwas Schönes bauen könne. Da halte ich es mit Erich Fromms "Kunst des Liebens". Ein Mensch kann entweder nur immer Liebe empfinden oder nicht. Aber, so Fromm, "Ich liebe nur dich" ist ein Unsinn und eine Selbstlüge. Die obersten Naziführer hielten sich wegen ihrer Frauen und Kinder auch für liebende Familienväter. Wären sie das wirklich gewesen, hätten sie nicht ihre Morde fertiggebracht. Wirkliche Liebe selektiert nicht, erklärt Fromm. Utopisch? Nein. Wir haben das Glück, dass uns Nelson Mandela das zu unseren Lebzeiten vorlebte, und man darf sogar sagen: erfolgreich. Ja, erfolgreich!

Oder der dänische Mohammed. Da konnte man angesichts der weltweiten Wut den Eindruck haben, wenn es eine Unduldsamkeit gebe, dann richte sie sich von Moslems gegen die Christen – siehe Kopten in Ägypten. Aber – was ist denn los, wenn Schiiten eine Moschee bomben, in der Sunniten sind? Nur andere Moslems, noch nicht einmal "Ungläubige" in eurer Diktion. Und noch dazu in einem Moment, vor dem, als dem heiligsten, man wirklich noch letzte Schranken haben sollte? Das Problem ist der völlige Mangel an Toleranz, "audiatur et altera pars"(auch die Gegenseite muss gehört werden) oder was auch immer. Toleranz ist kein Luxus, den man sich gönnen kann, wenn alles andere geregelt ist. Dieselbe Unduldsamkeit, die die Moslems den Christen oder anderen Völkern gegenüber aufweisen, ist auch diejenige, die sie auch zueinander in Feindschaft führt. Wer nicht hie tolerant sein kann, der kann es nirgendwo. Man muss nicht nur die Unduldsamkeit der arabischen Nachbarn gegenüber Israel bearbeiten, man muss den Leuten überhaupt Toleranz beibringen. Überhaupt. Umfassend. Überall.

zurück

Wer Frauen misshandelt, stiehlt auch europäische Patente

Nein, es gibt nicht nur ein bisschen Toleranz oder Toleranz hie und da. Es gibt entweder Toleranz oder gar keine, und jetzt kommen wir wieder zu Voltaire zurück, dessen Aussage unsere Lebensgrundlage darstellt: In der "Welt" sagte eine Inderin: "Die Männer fragen nicht nach Sexualität von Frauen, sie nehmen sie sich einfach." Moment mal - "nehmen sie sich einfach"? Das kennen wir doch irgendwoher – ja richtig, die Inder nehmen sich einfach europäische Medikamente oder Windradpatente. Wer so armselig gepolt ist, dass er eine Frau einfach wie ein Gefäß behandelt, der ist auch anderweitig brutal. Mögen seine Zähne auch noch so weiß lächeln können. Wenn es in einer Gesellschaft einem Teil schlecht geht, dann geht es nicht nur diesem Teil schlecht sondern der ganzen Gesellschaft.

Ich war perplex, als mein Bruder nach zwei Jahren Afghanistan erzählte, dort würden Jungen missbraucht. Von den Taliban! Ja, aber die bringen doch bei Ehebruch (angeblichem) Frauen um! Wieso ist ihnen dann nicht ein Kinderleben heilig? Es geht eben nicht nur den Frauen schlecht, wenn es den Frauen schlecht geht. Der hirnrissige, armselige Missbrauch eines Teiles der Gesellschaft in einem Lande reicht immer weiter als nur bis zu den offenkundigen Fällen. Ich war so perplex, dass ich bei Gelegenheit einen Verbindungsoffizier aus einem anderen Teil Afghanistans nach dem Thema fragte. "Ja sicher", sagte er. "Wir hören die Jungen ja schreien und sehen, wie sie hinterher gehen.".

zurück

Toleranz – Schwäche oder Stärke?

In Russland geht es ja nicht nur den Homosexuellen schlecht. Auch missliebige Geschäftsleute und Frauen oben ohne werden nach Sibirien verbannt oder Kritiker in London radioaktiv verstrahlt. Und weil die Angst, man könne sonst nicht mehr ernst genommen werden, so riesig ist, hält Russland störrisch an Assad fest. Zwei Toleranz-Angsthasen müssen zusammenhalten. Nun ja, intolerante Amerikaner erschießen gleich, was sie nicht mögen. Sogar Kapuzen.

Wer nicht tolerant ist, kann auf Dauer auch kein Partner oder Geschäftspartner oder Politikpartner sein – siehe ausländische Firmen, wie sie in Indien ausgeschlachtet werden.

Sicher, wir haben die Toleranz nicht ererbt. In den europäischen Religionskriegen musste sie erst blutig errungen werden. Aus alten Wörterbüchern geht hervor, dass das Wort "Toleranz" einmal abwertend gemeint war. So wie "Nachlässigkeit", "Verfall", "Schwäche", "Schlaffheit", "Indifferenz". Da kann einen das kalte Grausen ankommen, und wir sind dankbar für den bitteren, teuren Lernprozess, den wir zurückgelegt haben. Wir sagen es also nicht aus Arroganz oder Besser-Wessi-tum. Wir sagen nur: Spart euch den Krieg, ihr könnt unsere Fehler und Umwege überspringen!

zurück

Toleranz braucht nur einen Entschluss

Toleranz zu praktizieren scheint so weit weg. Aber Daniel Barenboim macht uns den ersten Grundsatz deutlich, auf dem Toleranz steht: Ein gegenseitiges Mögen ist nicht erforderlich. Die Palästinenser, Israelis, Araber, Ägypter, die er in seinem Orchester vereint, mögen sich auch nicht immer sofort. Aber die Devise ist: "Maul halten! Jetzt wird musiziert!" Und das klappt. Barenboims Orchester ist ein großartiges Geschenk an die Menschheit.

Zweiter Grundsatz: Man braucht keine besondere Kenntnis oder Intelligenz. Der Entschluss ist das Wichtigste. Der Entschluss ist das Wichtigste! Das ist kein Eiapopeia. Auf der Grundlage steht der Elysée-Vertrag! Zu Zeiten de Gaulles und Adenauers gab es noch kein großes Mögen von hüben und drüben. Macht nichts. Sie fassten den Entschluss zum Frieden, und das war genug. Das ist das oberst Verdienstvolle an beiden Personen – nicht lange herumlamentiert – angefangen. Das reicht für Toleranz auch heute noch, und es ist schön, dass das so geht.

Machen wir eine Gegenprobe: Dass der Entschluss das Wichtigste und Entscheidende ist, dachte auch Anwar el-Sadat. Mit Israel wollte er einen neuen Anfang wagen, ohne Vorbedingungen. Das war seinen eigenen Landsleuten eine so unerträgliche Vorstellung, dass sie ihn umbrachten.

"Aber um ein Glas Rotwein mit mir zu trinken, brauchen Sie doch keinen Krieg mit mir zu führen", sagt der französische Leutnant in "Merry Christmas" zum deutschen Leutnant. Der wahrste und schönste Satz des ganzen Films.

zurück

Toleranz von den Musen lernen

Kann man denn sonst nichts dazu tun und Toleranz pflegen? Doch schon. Mit jungen Menschen bereits bildende Kunst und Musik pflegen. Denn daran kann man Toleranz im nächsten Umkreis (z.B. einer Schulklasse) konkret und persönlich üben. Ein Gemälde oder ein Tonstück sind das Urpersönlichste und Individuellste, was sich an menschlicher Schöpfung denken lässt. Aber es ist zugleich das Friedfertigste, das sich denken lässt, denn das Kunstwerk stellt nichts und niemanden in Frage, fügt niemandem einen Schaden zu, und es bleibt von dem, was ein Zuschauer oder Hörer empfindet, unzerstört. Hier haben wir also die Chance zu erleben, wie Toleranz geht: Man kann sich äußern und seine Wege verfolgen, andere können das genau so – und beides ist zugleich ohne jede Zerstörung oder Einschränkung möglich. Da mag einer lästern: "Was soll ich mit der komischen Mona Lisa? Wer hat der denn alle Augenbrauen gerupft? Und wie läppisch die grinst!" Na, das ist ja schade, aber es stört keinen, der sich an ihr freut. Beides geht nebeneinander, und die Kontrahenten können sich trotzdem mögen.

Machen wir die Gegenprobe: Als die Moslems sich im Mali ausdehnten, zerstörten sie genau das – großartige menschliche Kunstwerke. Ein äußerst verräterisches Indiz, dass Intoleranz zum Wesen der Zerstörer gehört.

zurück

Gläubige Menschen sind nicht das Problem

Gerhart Hauptmann sagte einmal "Was ich mir wünsche? Ein Gespräch mit Gläubigen aller Art." Auch er hatte Toleranz von einer weiteren Seite verstanden: Wirklich gläubige Menschen sind nie das Problem. Wirklicher Glaube führt eigentlich immer zu Ehrfurcht und macht ein Miteinander möglich. Wenn das nicht geht, so wie in Nordirland, dann ist das nicht wirklich ein Glaubenskrieg, sondern im Hintergrund zu angeblichen Religionsproblemen geht es um Vordergründiges. Dafür spricht hier auch die Geschichtsfälschung, die der Orange Order heutzutage betreibt: König Wilhelm von Nassau-Oranien hat in der Schlacht am Boyne überhaupt keinen Religionskrieg geführt sondern einen Kampf um die englische Krone gegenüber seinem katholisch gewordenen Onkel (!) und Schwiegervater (!) und Kron-Konkurrenten Jakob II. Wilhelm hatte als Deutscher und Holländer das Elend der Religionskriege zu bitter durch die Franzosen erlebt, so dass er als ein kluger Mann damit ein wirkliches Ende machen wollte. Wilhelm hatte daher, kaum dass er auf den englischen Thron berufen worden war, Toleranzgesetze zum Wohle von Katholiken und Protestanten erlassen. Nicht einmal sein triumphaler Sieg am Boyne konnte ihn irritieren, so dass er in die Kerbe haute und den irischen Katholiken das Leben wieder schwerer machte. Sondern er begrenzte seinen Feldzug auf das, dem er galt – der englischen Krone. Wenn die orangen Unverbesserlichen Wilhelm ernst nähmen, dann würden sie dessen Toleranzpolitik fortsetzen.

zurück

Toleranz taugt in praktischer Politik

Man sieht: Toleranz ist keineswegs bloß ein zartes Gefühlchen für Warmduscher sondern ist eine durchaus nationalpolitisch taugliche Kraft! Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen wurde von so einem typischen Exemplar von blindem Macht-Papst zum Kreuzzug aufgehetzt. Friedrich konnte so perfekt arabisch, dass er mit dem Sultan aushandeln konnte, dass Christen freien Zugang zu ihren Heiligen Stätten in Palästina bekämen. Gerhart Hauptmann hätte sofort kommentiert: Sehen Sie, da unterhielten sich eben zwei Gläubige, und das ist nie ein Problem, im Gegenteil. Aber der Papst war nicht wirklich gläubig sondern setzte den Kaiser per Bannandrohung unter Druck, die Heiligen Stätten mit militärischer Macht frei zu räumen.

Toleranz ist eine national taugliche Kraft. Indonesien ist ein weiterer Staat, der das jahrzehntelang vorlebte. So verschieden, so weit auseinander, so abgeschlossen auf ihren Inseln wie die Indonesier auf ihrem Inselstaat sind, wurden sie ab 1945 durch die "Pancasila" geeint. Mit diesem "Fünfsäulen-Programm" wurde allen Indonesiern mit preußischer Strenge beigebracht, dass das Wohl des Landes von der Toleranz gegenüber Ethnien, Religionen, Geschlecht etc. abhinge. Missionare erzählten, dass die Polizei sogar einen Bus anhalten durfte, auf Passagiere zugehen und verlangen: Du, sage mir, was steht in der Pancasila! Und dann musste jeder auswendig aufsagen können, was in der Tat jahrzehntelang Grundlage des Friedens in Indonesien war. Nur die Assads auf der ganzen Welt haben das nicht begriffen. Wenn ein Regierungschef im Orient Schiit oder Sunnit oder anderes ist, dann ist das nicht per se schlimm. Es ist erst schlimm, wenn dieser Unterschied Grundlage zu Ungleichbehandlungen wird.

A. Martin Steffe

 
Zurück
Alle Themen