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Nachlese zum Reformationsjubiläum

Wirkung viel nachhaltiger als viele annehmen

Hamburg (ams). Wenn man in diesem Jahr auf das ungewöhnlich aufwendige und ereignisreiche Jubiläum der Reformation zurückblickt, so ist es verführerisch für alle, die eine Publikationsaufgabe haben, es kritisch herabzuwürdigen. Denn es wirkt so schlau, wenn man etwas als unzureichend, unausgeglichen, tendenziös bewertet oder dem Aufwand unterstellt, es sei alles nur heiße Luft gewesen. Das wird den tatsächlichen Leistungen und Errungenschaften nicht gerecht. Ja, es gab geschmacklose Luther-Postkarten oder alberne Reformations-Speisen, aber die herrschten keineswegs vor und waren außerdem auffällig in ihrer Plattheit. Ja, es gab volle Veranstaltungen und Gedränge in Museen und Ausstellungen, aber das war ja Ausdruck des gerechtfertigten Interesses in der Bevölkerung, sich besser kundig zu machen. Das Reformationsjubiläum hat viel mehr auf Dauer hinterlassen und nachhaltige Anstöße gegeben. Das kann jeder bestätigen, der mehrere Bauten, Ausstellungen oder Konferenzen im Bundesgebiet besucht hat.

Restaurierte Häuser beherbergen neue Museen

So etwa wurde in Torgau das Spalatinhaus saniert. Es ist das einzig verbliebene Gebäude aus Spalatins Leben und ist als Priesterhaus Ausdruck seines Status' und seiner Lebensbedingungen. Das Obergeschoss beherbergt ein kleines Museum zu Johann Walter, Luthers Freund und dem ersten evangelischen Kantor. Zusammen mit Schloss, Schlosskirche (von Luther selbst geweiht), Kanzleigebäude, Katharina-Luther-Museum (das renoviert wurde), Alter Schule, Superintendentur und Katharinas Grabplatte in der Kirche vervollständigt sich in der früheren Residenzstadt ein Ensemble an Gedenkstätten, an dem man das ganze Reformationsgeschehen studieren kann. Erstaunlich, dass Torgau noch nicht im gebührenden Maße wahrgenommen wird. Dabei finden fast immer historische Ausstellungen im Schloss statt, die einen weiteren Aspekt zur Reformation präsentieren. In Spalt selbst, Spalatins Heimatort, ist eine Ausstellung zum großen Sohne der Stadt geblieben.

Das Aufblühen Torgaus wirkte auch in die weitere Nachbarschaft, nach Mühlberg. Dort wurde ein historisches Gebäude als Museum zur Schlacht 1547 eingerichtet. Es ist klein aber fein und ein wahres Beispiel dafür, wie ein historisches Thema dank klugen Medieneinsatzes einen unvergesslichen Eindruck und ein tieferes Verständnis vermitteln kann.

Ausstellungen legen Korrekturen nahe

Wo keine Gebäude hergerichtet oder wiedererrichtet werden konnten, verwirklichten Fachleute, Vereine oder Gemeinden Ausstellungen. Gerade diese standen in Gefahr, dass sie als Versuch, auch noch auf der Welle mitschwimmen zu können, hingestellt wurden. Völlig falsch. Die lokalen oder regionalen Ausstellungen sind die unverzichtbaren Mosaiksteinchen, durch die sich ein desto besseres Gesamtbild erst ergeben kann. Noch in dem Luther-Musical einer Hamburger Kirchenjugend kam Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt, als "Bilderstürmer" weg. Das ist untragbar. Daher war es besonders verdienstvoll, dass die Stadt Karlstadt am Main ihm eine Ausstellung widmete und – das wäre wieder eine Nachhaltigkeit – erwägt, eine Dauerausstellung einzurichten. Nur dank solcher Arbeit kann die Öffentlichkeit sich einen Eindruck verschaffen, was für ein gewissenhafter Denker und Gemeindepfarrer Luthers Doktorvater Karlstadt war, dass er nie zum Bildersturm aufrief, und wie unbegreiflich Luthers Unerbittlichkeit ihm gegenüber war, dass er ihn durch verleumdende Aussagen in die Reichsacht trieb. War Karlstadt Luther zu ähnlich, so dass der sich in Eitelkeit von ihm geschmälert fühlte?

Die Stadt Zeitz machte sich um den Bischof Julius Pflug verdient. Er war eine Ausnahmeerscheinung auf katholischer Seite, nämlich als Mann, der zwar die Einheit der Kirche zu erhalten suchte, sich tatsächlich auf Gespräch, Respekt und Toleranz einließ. Etwas, das die römische Kirche noch jahrhundertelang vermissen ließ. Heute wird Pflug zum Vorbild für den ökumenischen Dialog.

Nicht wenige Frauen förderten die Reformation oder griffen sogar selbst zur Feder. Manche Adeligen wie Herzogin Elisabeth von Calenberg-Göttingen setzten auch beharrlich gegen Hindernisse und Rückschläge die Reformation in ihrem Lande durch. Doch erst eine Ausstellung wie die in Rochlitz zu den Frauen der Reformation konnte eine Ahnung vermitteln, wieviel mehr noch brodelte, und wie die Frauen zu spüren schienen, dass sie an der Schwelle einer bedeutenden Emanzipation standen: Nicht weniger als etwa 30 Porträts deutscher Prinzessinnen hingen da versammelt, alle als Judith des Alten Testamentes, die durch die Tötung des Holofernes das Volk Israel befreite. Uns berührt dieser Topos als Leitbild seltsam, doch damals schien er den Frauen passend pointiert zu dem Ausdruck, dass sie zur Übernahme von mehr Verantwortung und tragenden Rollen in Staat und Gesellschaft bereit waren.

Städte wie ein Denkmal und mit vielen Denkmälern

Die Stadt Erfurt ist ähnlich wie Wittenberg reich an Denkmälern jeder Art zu Luther und zur Reformation. Doch auch sie hat sich nicht darauf ausgeruht sondern eine Ausstellung zu den Bettelorden geschaffen. Nicht nur, weil sie in der Stadt reichlich vertreten waren, sondern um der Frage nachzugehen, ob gerade sie der Reformation den Boden bereiteten (wenn auch unabsichtlich) und ob sie etwa reformatorische Ansichten in ihrem Rahmen später aufgriffen.

Die Stadt Eisenach, ebenfalls reich mit Reformations-Erinnerungsorten gesegnet, hat sich nicht nehmen lassen, das Luther-Haus als eine originale Lebensstation Luthers säuberlich zu restaurieren. Doch im angrenzenden Neubau präsentiert sie thematische Ausstellungen wie etwa die zu Luther und der Katholischen Kirche.

Die Reformation war gefährdet und gefährdete

Schmalkalden brauchte aufgrund seiner Schönheit und seiner schönen Lage eigentlich nichts Besonderes. Doch just hier wurde europäische Geschichte geschrieben! Im Schloss wurde die schon bestehende Ausstellung zum Schmalkaldischen Bund, also der politischen Seite der Reformation, ausgebaut. Daher kann man heute noch besser ermessen: Dadurch, dass die Reformation in Deutschland gelang, setzen wir unwillkürlich voraus, dass das klar war. Der Schmalkaldische Bund, die NATO der Evangelischen, erinnert daran, dass die Reformation ein ganz schwaches Pflänzchen war, das noch jahrzehntelang gehütet werden musste. Luthers bahnbrechender Thesenanschlag war 1517, doch noch 30 Jahre später schlug der Kaiser wirklich zu und siegte bei Mühlberg! Die Ausstellung erinnert ferner daran, dass sich im Schmalkaldischen Bunde nicht nur die protestantischen Kurfürsten versammelten, sondern auch Vertreter Frankreichs, Dänemarks und anderer Staaten – überall in Europa wollten die Herrscher sich die Unabhängigkeit vom Kaiser erhalten und sahen in den deutschen Kurfürsten die sichersten Partner dafür!

In Reutlingen fiel in der Ausstellung zu Matthäus Alber der Hinweis auf einen jüngeren Mitarbeiter ab, dass er unterwegs zum Religionsgespräch in Poissy (westlich von Paris) an der Pest starb. Das war das Gespräch zwischen Katholiken und dem reformierten Pfarrer Theodor de Bèze vor König und Königin, aus dem jedoch keinerlei Toleranz oder friedliche Koexistenz entstand. Doch so europäisch waren die Leute damals schon verknüpft! Daher auch kein Wunder, dass so viele ausländische Fürsten an den Treffen des Schmalkaldener Bundes ihre Gesandten teilnehmen ließen.

Konferenzen bringen den aktuellen Stand der Forschung zu Wort

Am wenigsten beachtet waren die Konferenzen. Die Luther-Gesellschaft ließ sich nicht nehmen, eine Tagung über Johann Hus abzuhalten. Das lohnte sich einerseits als Vergleich überhaupt, andererseits wegen der konkreten Beziehungen. Nachdem Luthers Hus' Werke gelesen hatte, sagte er erstaunt "Wir sind alle Hussiten", und diese positive Wertung förderte die Hinwendung tschechischer Reformatoren zur Wittenberger Reformation. In der Salzburger Benediktinerabtei St. Peter, wo Johann von Staupitz zuletzt als Abt lebte und wirkte, richtete man zu ihm eine Tagung aus und war ganz erstaunt, dass anstelle von erwarteten etwa 30 Teilnehmenden über 100 kamen! Das war ein Ausdruck der richtigen Einstellung in diesem Jubiläumsjahr: Hingehen, sich kundig machen, konkrete Anschauung und Einzelheiten wahrnehmen. Als Luthers Seelsorger wurde Staupitz schon immer erwähnt – aber nur das. Jetzt erscheinen die ersten Bände seiner Werke, und anhand des meisterhaften Deutsch ahnt man nun, weshalb Luther ein so geniales Gefühl für das Deutsche hatte.

Ökumenisches Reformationsgedenken

Das Erzbistum Hamburg widmete die Ansgar-Woche 2017 der Reformation. Das Vorbild des Bischofs Pflug ist wirksam! Nicht nur als ein ökumenisches Etikett, sondern es wurde auch gelernt. So begann eine Teilnehmerin, Luther habe sich "antisemitisch" geäußert – woraufhin sie der referierende Theologieprofessor aus Paderborn sofort unterbrach (was er sonst nie tat) und korrigierte: nein, nicht antisemitisch sondern antijudaistisch. Vor ein paar Jahrzehnten hätten das manche Leute genüsslich ausgeschlachtet.

Der Deutsche Hugenottenverein tagte in Magdeburg. Auch er widmete einen Teil der Jahrestagung dem umfangreichen Vergleich der Lutherischen Reformation mit der der Reformierten und darüber hinaus der erschütternden Feindseligkeit vieler Lutheraner gegenüber den Reformierten. Bis dahin, dass in Dresden ein Kanzler Krell enthauptet wurde, weil ihm eine neuerliche Bibelübersetzung zur Last gelegt wurde. Die unnötige Trennung wurde dann von Preußen beseitigt, und in Frankreich sind vor wenigen Jahren beide Bekenntnisse aufeinander zugegangen und bilden jetzt eine vereinte evangelische Kirche.

Umfassende Analysen und Wegweisung vor Ort

Neue Bücher waren einerseits ein Spiegel des vielseitigen Bemühens an vielen Orten, andererseits ein Anstoß für detaillierte Auseinandersetzungen mit Ereignissen und Bedingungen der Reformationszeit. Neu ist, dass jetzt die Historiker auf dem Vormarsch sind und einzelne Tatsachen oder persönliche Eigenschaften besser durch ihre historische Einbettung zu erläutern und einzuordnen vermögen. Zu lange wurde alles, was es zur Reformationszeit zu sagen gab, nur von Theologen bestritten. Bahnbrechend waren die Luther-Biografien Heinz Schillings und Lyndal Ropers. Dass es in etwa gleichzeitig zwei so umfangreiche Biografien auf dem Markt gibt, ist hier ein Beleg dafür, wieviel es zum Thema Reformation tatsächlich noch zu erforschen gibt. Gleichwertig sind die Analysen Harry Reids und Mark Greengrass' zur Reformation. Umso mehr, als die Verbindung des wichtigsten englischen Bibelübersetzers, William Tyndales, nach Wittenberg offener behandelt wird; denn Tyndale teilte mit Luther, Franzysk Skaryna, Primus Truber, Michael Agricola und anderen die Liebe und vorurteilslose Leidenschaft für die Übersetzung in die Muttersprachen und reiste deswegen eigens nach Wittenberg, um an seinem berühmten Vorgänger das Übersetzen zu studieren.

Neben diesen grandiosen und tiefschürfenden Darstellungen sind die vielen kleinen, illustrierten Bücher nicht zu verachten, die sich eine einzelne Person, eine Stadt oder Region, Kunstwerke oder Schriftformen vornehmen. Für sie gilt wie für die Ausstellungen oder Baurestaurierungen, dass sie dazu anleiten, sich Geschichte konkret vor Ort anzueignen, und Bausteine für ein großes Wissensgebäude zu liefern. Hierzu zählen etwa die Leipziger Serie "Orte der Reformation" mit ihrem Blick auch auf außerdeutsche Orte wie Zürich, Genf oder Straßburg. Oder "Europa reformata", das einem hilft, auch kleine, versteckte und unscheinbare Hinweise auf das Reformationsgeschehen zwischen Turku und Sevilla oder Edinburgh und Kronstadt aufzuspüren. Ebenso die Bücher, die sich auf Luthers Lebens- und Wirkorte konzentrieren – sie alle sind so wichtig, weil sie nachhaltig bewirken, dass man auf Zeugnisse jeder Art zugeht, wo sie sich bieten.

Die ständigen und die nationalen Sonderausstellungen

An den Orten Eisleben, Mansfeld, Eisenach, Erfurt und Wittenberg sind ständige Ausstellungen an Luthers Lebensorten und in Kirchen seines Wirkens eingerichtet. Fast überall hat man den historischen Gebäuden neue zur Seite gestellt, damit das Historische desto besser und ungestört für sich wirken kann, und alles Nötige wie Kassen, Läden, Schließfächer, Garderoben, Toiletten, Vortragsräume wurde in die neuen Teile verlegt. Alle Ausstellungen wurden überarbeitet und mit dezenten technischen Mitteln in ihrer Darstellung verbessert. Dazu gesellten sich im Jubiläumsjahr die großen nationalen Ausstellungen von Torgau, Berlin, Wittenberg und auf der Wartburg. Ihre Leistung bestand vor allem darin, dass sie Zeugnisse von einer Art und einer Menge zusammenbrachten, die weltweit zerstreut und in dieser Dichte nie wieder zu sehen sind. In Torgau, Wittenberg und auf der Wartburg wurden die Ausstellungen zugleich mit Originalschauplätzen gezeigt. So etwa konnte man endlich einmal eine aufgeschlagene Bibelstelle mit einer Notiz lesen, wo ein Mitarbeiter Luthers festhielt, dass er die Thesen angebracht habe. Also, es ist heute unstrittig: Die Thesen hingen öffentlich aus, und zwar an allen Orten, die von der Universität üblicherweise zu solchen Anschlägen genutzt wurden, nicht nur an der Schlosskirche, und zwar nicht von Luther selbst sondern vom Universitätspedell, der üblicherweise zum Anbringen solcher Thesen ausgeschickt wurde. Dann konnte man endlich auch einmal Karl V. im Porträt sehen. Am meisten ließ er sich als Herkules oder römischer Legionär darstellen. Vielleicht, weil er sich wegen seines Unterkiefers schämte.

Der große Aufwand musste auch finanzierbar sein

Die Oberschlauen wollen wissen, dass Luther die Fürsten bezirzt habe, dass sie seine Reformation schützten. Falsch. Die Fürsten merkten selbst, dass Luther ihnen die theologischen Grundlagen schaffte, die ihrem Selbstverständnis als selbstständigen Fürsten entsprachen. Deswegen waren Luthers Ideen ihnen willkommen. Tatsächlich ergriffen sie aber dann aufrichtig und engagiert die ihnen vom Reformator zugedachte Rolle als "Notbischöfen". Das konnte man in der Torgauer Ausstellung studieren.

Zum umfangreichen Jubiläumsaufwand muss man auch ganz praktisch anmerken, dass er überhaupt möglich war, weil man damit rechnen konnte, dass in diesem Jahr genug Gäste kommen würden, so dass die Projekte auch finanzierbar sein würden. Die Reformation ist eines der wichtigsten Geschehen der Neuzeit und hat uns Grundlagen auch unseres heutigen Lebens geschaffen. Das ist die große Aufmerksamkeit wert. Insgesamt ist aber tatsächlich viel Gutes dabei heraus gekommen und viel gutes Bleibendes wurde für die Zukunft geschaffen. Es besteht also kein Grund, sich von irgendeiner Art von Überich sagen zu lassen, die Jubiläumsfeiern müsse man negativ bewerten.

Hamburg, im Februar 2018, © A. Martin Steffe

 
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